Die Entwicklung geht ohnehin in eine ganz neue Richtung, denn neuerdings werden immer mehr Schüler zu Mobbingopfern, die eigentlich gar nicht als typische Mobbingopfer gelten dürften.
Es geht heute vielfach in Schulen darum, Statuskämpfe auszutragen, viele Schüler geben unumwunden zu, dass dies die Hauptmotivation (!) ihres Schulbesuchs ist.
Denkt man dabei an soziale Randgruppen in Brennpunktschulen, die ohnehin keine Perspektive für ihr Leben sehen und deshalb Aggressionen in Schulen ausleben, so liegt man inzwischen nur partiell richtig.
Ein relevanter Anteil von Mobbing kommt inzwischen nämlich direkt aus der gesellschaftlichen Mitte, aus „Langeweile“ oder weil man von seinem Elternhaus mitbekommen hat, dass man „Ellenbogen“ benötigt, um gut durch das Leben zu kommen. Hier hat sich ein Kreislauf aufgetan, der eigentlich Anlass zu größter Sorge gebieten sollte. Denn die Familien, die mitbekommen, dass Kinder „Ellenbogen“ einsetzen und andere Kinder unter Druck setzen, „schützen“ ihre eigenen Kinder mitunter dadurch, dass sie diese ermutigen, selbst Ellenbogen einzusetzen oder sich solchen Gruppen anzuschließen, damit sie nicht selbst in den Fokus von Mobbern geraten.
Wie dem auch sei, sind zusehends solche Kinder für Mobber „interessant“, die keineswegs zu den typischen Mobbingopfern gehören, sondern selbstbewusst durchs Leben gehen, anerkannt sind – sich aber nicht den Mobbern unterordnen.
Der einzige „Schwachpunkt“ dieser Schüler ist, dass sie nicht selbst Gruppenanführer sind, sondern sich einfach nur innerhalb der Klasse gut integrieren. Fehlt aber der Rückhalt einer „eigenen Gruppe“, so ist man per se gefährdet. Dies ist heutzutage tatsächlich ein großes Problem, wenn es innerhalb einer Klasse „Gruppen“ gibt (die dann meist auch Mobbinggruppen sind) und man sich aber keiner dieser Gruppe anschließen will, weil man eben keine hierarchische Unterordnung möchte.
Umgekehrt beginnt die Motivationslage der Mobber an derselben Stelle: Meist ist es das Ziel, alles und jeden unter Kontrolle zu bekommen – allenfalls werden noch andere „Gruppen“ in der Klasse respektiert, weil man an diese eben nicht herankommt. Zielobjekte sind dann die Schüler, die sich in keine Gruppenhierarchie einordnen wollen und das sind meist die selbstbewussten Schüler.
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der bei dieser Gelegenheit Relevanz erlangt: Der Statusgewinn einer Mobbingattacke ist natürlich wesentlich höher, wenn es gelingt, einen Mitschüler „zu brechen“, der selbstbewusst und keineswegs unbeliebt erscheint.
Schüler, die selbstbewusst und eigentlich auch beliebt sind, werden dann oftmals „kalt erwischt“, weil sie dies gar nicht erwarten:
Es ist ja auch nicht so, dass in jeder Klasse solche Gruppen existieren. Oftmals sind diese Schüler in der Vergangenheit als Klassensprecher und Vermittler bei Konflikten sogar in exponierten Stellen hervorgetreten und verstehen gar nicht, woher plötzlich die Anfeindungen kommen. Noch weniger verstehen sie, wenn plötzlich die ganze Mobbingmaschinerie in Bewegung gesetzt wird und sie zusehends in der Klasse isoliert werden.
Die Entwicklung geht demnach in eine Richtung, dass zumindest in solchen Klassen, in denen Mobbinggruppen bestehen, es immer weniger Schüler gibt, die sich hiervon distanzieren können. Gab es früher noch viele vereinzelte Freundschaften, greifen die Mobbinggruppen in einem ersten Schritt auf die schwächeren Glieder zu und versuchen sie als Mitläufer in ihre Gruppe zu integrieren. Diese Schüler pflegen dann oftmals parallel ihre Zugehörigkeit zur neuen Gruppe und die alten Freundschaften. In einem zweiten Schritt werden diese dann gekappt, indem diejenigen Schüler, die außerhalb der Mobbinggruppe verbleiben, angegriffen werden. Die geschieht dann durch obengenannte Instrumentarien wie den direkten Angriff aber auch der Isolation von Mitschülern.
Interessant hierzu ist einer der wenigen Presseberichte zu diesem Themenbereich von Jürgen Kaube in der FAZ vom 04.05.2014, in dem meine Erfahrungen bestätigt werden. Hier wird auf Untersuchungen in den USA hingewiesen, wo man auf dieses Thema offenbar bereits aufmerksam wurde, während die deutsche „Bildungsliteratur“ nach wie vor bei den üblichen Fällen zu verharren scheint.